Korngrößenbestimmung in der Metallographie
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Metallische Werkstoffe bilden ausnahmslos beim Übergang vom flüssigen in den festen Zustand Kristalle. Die festen Körper zeigen daher eine oder mehrere Kristallarten, die fest miteinander verbunden sind. Deren Größe wird durch physikalische, chemische und thermische Einflüsse bestimmt, die in gewissen Grenzen willkürlich gelenkt werden können. Da Korngröße und technische Eigenschaften der Metalle und Metalllegierungen in enger Beziehung zueinanderstehen, hat die Messung der Korngrößen eine erhebliche wissenschaftliche und praktische Bedeutung. Die unmittelbare Ausmessung der Korngröße, ausgedrückt in einer Volumeneinheit, ist indessen nicht möglich, weil das Herauslosen des Einzelkorns aus dem Verband nicht gelingt. Unter der Korngrol3e eines Werkstoffs versteht man daher die Abmessung der einzelnen Gefügebestandteile, die im geätzten Schliffbild alle mehr oder weniger unregelmäßig begrenzte Flächenelemente erscheinen. Die Grenzlinien, an denen die einzelnen Kristallite zusammenstoßen, nennt man die Korngrenzen. Die meisten festen Stoffe enthalten überhaupt keine wohl ausgebildeten Kristalle. Sie bestehen aus einer sehr großen Zahl von Einzelkristallen and Kristallbruchstücken. Ein Idealkristall mit einem genau besetzten Gitter hat nur äußerst geringe Ausdehnung. Was das Mikroskop zu erkennen gibt, ist ein Mosaik von Idealkristallen, das Lücken aufweist und nicht genau aneinanderpasst. Da die Abmessungen der Körner ein und derselben Anschliffebene stets verschieden groß sind, muss man, um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben, aus einer großen Zahl von Körnern einen Durchschnittswert bestimmen. Man bezeichnet zum Beispiel als mittlere Korngröße den mittleren Flächeninhalt einer größeren Anzahl von Flächenelementen. In Wirklichkeit sind die Kristallite aber keine zweidimensionalen Flachen, sondern drei-dimensionale, polyedrische Körper. Man hat daher an Stelle der mittleren Korngröße, indem man diese in die anderthalbfache Potenz gesetzt hat, das mittlere Kornvolumen einzuführen versucht. Dies trifft aber nicht die tatsächlichen Verhältnisse, da die Kristallite unregelmäßig begrenzte Vielecke und nicht kugelförmige Ellipsoide oder regelmäßig begrenzte Würfel sind.
Kornformen
Die Abmessung der einzelnen Kristallite kann man in vielen Fällen von vornherein durch die chemische Zusammensetzung und die Erschmelzungsart der metallischen Werkstoffe weitgehend beeinflussen. Durch entsprechende Wärmebehandlungen und Verformung mit anschließender Glühung besteht außerdem die Möglichkeit, die primär vorliegenden Korndimensionen und Korngestaltungen zu andern. Demzufolge muss man bei der Bestimmung der Korngröße drei Gefügeerscheinungsformen unterscheiden: Gußgefüge: Die Kristalle sind von zahlreichen Kernen (Keimen) aus verschieden orientiert gewachsen, bis sie sich gegenseitig am weiteren Wachsen behindern. Infolge der unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeit in den einzelnen Kristallrichtungen haben die Kristallite des Gußgefüges eine sehr unregelmäßige, sternförmige, nadelige oder tannenbaumartige Begrenzung. Eine sichere Festlegung der durchschnittlichen Korngröße wird dadurch sehr erschwert. Oft erleiden die Kristallite unter dem Einfluss der Gußbedingungen zumindest in bestimmten Zonen eine Gleichrichtung, so dass sie als stengelförmige Körper bevorzugt in einer Richtung wachsen. Verformungsgefüge: Durch Rekristallisationsvorgänge entstehen aus den während der Verformung mehr oder weniger zertrümmerten Primärkörpern neue Körner, deren Größe von dem Grad der Verformung und der Höhe der bei der Rekristallisation herrschenden Temperatur abhängig ist. Dieses rekristallisierte Korn ist im allgemeinen gleichmäßiger als das ursprüngliche. Nach stärkerer Warmverformung und nach reiner Kaltverformung tritt jedoch auch ein gerichtetes Korn auf. Diese sog. Walztextur erschwert die Bestimmung der Korngröße, wenn auch nicht im gleichen Maße wie beim Gußgefüge. Gefügeformen nach Wärmebehandlungen: Bei Metallen, die eine Umkristallisation im festen Zustand erleiden, kann die Korngröße der bei der Phasenänderung entstehenden Kristallarten ähnlich wie bei den Erstarrungsvorgängen beeinflusst werden. Dabei steht das Sekundarkorn in beschränktem Maße mit der Größe des Primärkornes in Beziehung. Außerdem kann man die Korngröße durch Wärmebehandlungen bei hohen Temperaturen ändern. Durch die homogenisierende Glühbehandlung erzielt man z. B. ein verhältnismäßig gleichmäßiges Korn von ziemlich regelmäßig begrenzten Polyedern. Eine exakte Bestimmung der Korngröße ist nur möglich bei globulitischen Kristalliten, d. h. bei kompakten Körnern mit annähernd ebenflächigen sichtbaren Begrenzungen, weil diese räumlich gesehen als Polyeder erscheinen, die der Kugel- oder Würfelform ähneln. Nach H. Hanemann [1] werden die einzelnen Kornflächen jedoch selten von geraden, sondern vorwiegend von mehr oder weniger gebogenen Seiten begrenzt. Bei dendritischem Gussgefüge und bei stark ausgeprägter Walztextur dagegen liegen die Kristallite derart vor, dass die Festlegung der Korngröße durch die übliche Kornmessung nicht eindeutig ist. Auch wenn die Messung in zwei senkrecht zueinanderstehenden Ebenen durchgeführt wird, um die beiden extremen Kornabmessungen zu erfassen, ist eine sichere Festlegung der Durchschnittskorngröße nicht möglich.
Korngrenzen
Da die Kornabmessungen in der Begrenzung der einzelnen Flächenelemente durch die Korngrenzen zum Ausdruck kommen, soll zunächst der Korngrenzenbegriff näher erläutert werden. Nach G. Tammann[2] sind die Kristallite regulinische Körper, die von ganz feinen Fremdkörperhauten umschlossen sind. Während des Kristallwachstums werden nach dieser Theorie Fremdatome, die stets als Verunreinigungen der Metallschmelzen vorliegen und die infolge mangelnder Löslichkeit nicht in das Kristallgitter selbst aufgenommen werden können, von den wachsenden Kristallen vor sich hergeschoben. An den Korngrenzen, wo das Wachstum der Kristalle endet, reichern sich diese atomaren Verunreinigungen an. Diese kompliziert zusammengesetzte Korngrenzensubstanz, die von Tammann bei Kadmium und einigen anderen Metallen experimentell nachgewiesen wurde, wird von bestimmten Ätzmitteln starker angegriffen als der reine Kristall, so dass an den Korngrenzen feine Furchen entstehen. Das Herauslösen wird nach G.Tammann noch begünstigt, weil an den Korngrenzen die einheitliche Atomordnung, die im Innern der Kristalle herrscht, gestört ist. Die an der Kristallitoberfläche liegenden Atome sind nicht allseitig fest an ihre Nachbaratome gebunden, so dass sie von dem Lösungsmittel aus dem unvollständigen Atomverband gerissen werden. Als Beweis für das Vorhandensein dieser Korngrenzenhäute fuhrt G. Tammann die Rekristallisationserscheinungen an. Da die Rekristallisation nur stattfinden kann, wenn sich die Kristallite gegenseitig berühren, tritt dieser Vorgang nicht ein, wenn ein im Gußzustand vorliegender, nichtdeformierter Metallkörper lediglich erhitzt wird, weil dann die die Kristallite umgebenden Korngrenzenhäute ein gegenseitiges Berühren der Körner verhindern. Geht der Rekristallisationsglühung aber eine stärkere Verformung voraus, so werden die Zwischenhaute zerstört und eine Neubildung von Körnern findet statt. Auf Grund röntgenografischer Untersuchungen hat F. Lihl3) diese Theorie weiter ausgebaut, indem er behauptet, dass bei langsamer Abkühlung, z. B. von Stahl, vorher im Gitter gelöste Bestandteile sich an den Korngrenzen und den Mosaikgrenzen abscheiden. Hierdurch bildet sich ein sprödes Gerippe, das die Korngrenzen und die Mosaikblöcke gegeneinander abstützt, wodurch diese einer Verformung einen erhöhten Widerstand entgegensetzen. An der oberen Fließgrenze wird nach F. Lihl[3] dieses Netzwerk von Ausscheidungen zerstört und dadurch der Verformungswiderstand vermindert, so dass der Stahl zu fließen beginnt. C. Benedieks4) unterscheidet zwischen den bei der Erstarrung einer Metallschmelze sich bildenden „zufälligen" Körnern und den Kapillarkörnern, die bei genügender Atombeweglichkeit und Oberflächenspannung an den Korngrenzen entstehen. Anreicherungen harter und schwer schmelzbarer Fremdkörper an den Korngrenzen vermindern die zwischen den einzelnen Körnern wirkenden Kohäsionskräfte und führen zu beständigen Kristallitabmessungen. W.Guertler[4] ist der Ansicht, dass der Zusammenhalt eines vielkristallinen Metallkörpers normalerweise in den Korngrenzen fester ist als in den einzelnen Kristalliten selbst; denn beim Zerreißen eines Metallstabes ergebe sich meist ein kristalliner Bruch, der in bestimmten Richtungen durch die Kristallite hindurchgehe. Ein muschliger Bruch Rings der Korngrenzen tritt nach Guertler nur ein, wenn sich in den Korngrenzen spröde oder erst bei hohen Temperaturen erweichende Verunreinigungen ansammeln. Nach F. Lihl[5] gibt es z. B. im technischen Stahl Körner, die keine Ausscheidungen an den Korngrenzen und den Mosaikblöcken haben und solche, die Ausscheidungen aufweisen. Der Bruch müsste dann zum Teil durch die Korngrenzen und zum Teil durch die Kristallite hindurchgehen. Wenn zwei verschieden orientierte Kristalle von ihren Kernen ausgehend aufeinander zuwachsen und schließlich an einer Grenzlinie zusammenstoßen, so muss dort nach W. Guertler eine Lücke bis zur Breite eines Atomdurchmessers zwischen den beiden Kristallen entstehen, da der zwischen beiden Kristallen verbleibende Restzwischenraum für den Einbau eines letzten Atoms in den meisten Fällen zu gering ist. Den festen Zusammenhalt der Kristallite an den Korngrenzen erklärt er dadurch, dass sich die Atome im Grenzgebiet zweier Kristallite möglichst so anordnen, dass sich ein allmählicher Übergang zwischen den geordneten Gittern der beiden verschieden orientierten Nachbarn ergibt. In den Korngrenzen bilden sich also durch Verbiegung und Verzerrung der Gitter Übergangszonen, in denen das Gitter des einen Korns nach und nach in das des anderen übergeht. Da in diesen verzerrten und deformierten Zwischenschichten keine ungestörten Gleitebenen vorhanden sind, haben die Korngrenzen eine höhere Festigkeit und geringere Verformbarkeit als die regelmäßig geordneten Atomschichten im Innern der Körner. Infolge der an den Korngrenzen verminderten Kohäsionskräfte werden die Atome der Zwischenschicht nicht so fest an ihre Nachbaratome gebunden wie im regulär aufgebauten Korninneren, so dass sie beim Ätzen leichter aus dem Atomverband herausgelost werden. Nach J. Czochralskil[6] sind die Korngrenzen Grenzschichten von verspannten und umgelagerten Elementarteilchen, die durch Oberflächenspannungen und durch die Adsorptionskräfte der Kristallite aus ihrer ursprünglichen Lage abgelenkt sind. Der verschiedene Widerstand, den diese Grenzschichten im Vergleich zum Korninneren dem chemischen Angriff entgegensetzen, beruht nach Heyn[7] auf der verschiedenen Lösungsgeschwindigkeit von deformierten und nichtdeformierten Metallen. Nach Czochralski werden bei Eisen, dessen Löslichkeit durch Kaltverformung erhöht wird, die Grenzschichten durch das Ätzmittel starker angegriffen als das Korninnere. An den Korngrenzen werden also feine Furchen herausgeätzt. Bei Aluminium und Kupfer, deren Löslichkeit durch Kaltrecken vermindert wird, bleiben dagegen die Grenzschichten als schwach erhöhte Rippen zurück. Jedenfalls haben die im mikroskopischen Bild sichtbaren Korngrenzen eine erheblich größere Breite als etwa einem oder mehreren Atomabstanden entsprechen würde.
Einzelnachweise
- ↑ H. Hanemann u. A. Schrader, Atlas Metallographicus Bd. 1 (1933) 19
- ↑ G. Tammann: Zeitschrift anorg. Chem. 121 (1922) 275.
- ↑ F. Lihl: Metallwissensch. 3 (1949) 49
- ↑ W. Guertler: Einführung in die Metallkunde, 1. Folge (Leipzig: 1943; J. A. Barth) S. 52ff.
- ↑ F. Lihl: Metallwissensch. 3 (1949) 49
- ↑ J. Czochralski: Moderne Metallkunde (Berlin: 1924; Springer-Verlag) S.110
- ↑ E. Heyn: Materialienkunde (Berlin: 1922; Springer-Verlag) S. 297